iLK Kollegiale Beratung

iLK Kollegiale Beratung

Seit dem B-KJHG und den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Bundesländer ist das Vier-Augen-Prinzip bzw. Mehr-Augen-Prinzip, als "Zusammenwirken von zwei Fachkräften"  gesetzlich verankert, wenngleich es schon zuvor sehr weit verbreitet angewandt wurde. Es dient der ordentlichen Sorgfaltspflicht und beugt fahrlässigem oder stark subjektiv geprägtem Entscheiden und Handeln vor. In diesem Sinne stellt es einen wichtigen Schritt zur Sicherung der Rechte der Beteiligten (Schutz vor Willkür) und der Qualität der Prozesse dar und erhöht die Handlungs- und Rechtssicherheit der Fachkräfte (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2015; Schürmann-Ebenfeld 2016).

Im B-KJHG wurde das Vier-Augen-Prinzip als "erforderlichenfalls" (wenn Sachlage nicht für eine Fachkraft offensichtlich) zum Einsatz kommend bezeichnet, wobei es sechs Bundesländer (alle außer Burgenland, Oberösterreich und Tirol) im Kontext der Gefährdungsabklärung und drei (Kärnten, Salzburg und Wien) im Kontext der Hilfeplanung in ihren Ausführungsgesetzen als verpflichtend eingeführt haben – so kommt es auch bei der Gefährdungsabklärung deutlich häufiger als im Zuge der Hilfeplanung zum Einsatz (Kapella, Rille-Pfeiffer & Schmidt, 2018, S. 41, 46).

Das "Zusammenwirken von zwei Fachkräften" kann auch als "Verankerung einer Arbeitsweise im Sinne der kollegialen Beratung verstanden werden" (Kapella, Rille-Pfeiffer & Schmidt, 2018, S. 39) und stellt einen "zentralen Schritt in Richtung Professionalisierung und Standardisierung der fachlichen Arbeit dar" (S. 67). Kollegiale Beratungsprozesse haben mittlerweile in sehr viele Arbeitsbereiche verschiedener Professionen erfolgreichen Eingang gefunden (Franz, Kopp & Kohlhage, 2003).

Das Vier-Augen-Prinzip im Sinne des B-KJHG geht über Beratung im Sinne gemeinsamer Überlegung hinaus, indem es nicht nur eine offene Reflexion oder gegenseitige Beratung, sondern auch eine gemeinsame Entscheidungsfindung mitbeabsichtigt. Menschen treffen Entscheidungen nicht rein rational, sondern von Heuristiken bestimmt und von verzerrenden Mechanismen beeinflusst (Tversky & Kahnemann, 1974; wenngleich debattiert wird inwieweit Heuristiken problematisch sind, siehe z.B. Gigerenzer, 1991). Dies trifft genauso auf Entscheidungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu (Baumann, Kern & Fluke, 1997; Baumann, Dalgleish, Fluke & Kern, 2011; Munro, 2005;). Besondere Verzerrungsmechanismen schleichen sich in gemeinsame Entscheidungsprozesse, wie Teambesprechungen und auch kollegiale Beratungen ein (Group-Think-Phänomene). Eine realistische Qualitätssicherung muss diese irrationalen Aspekte im Entscheidungsprozess berücksichtigen – (Selbst-)reflexion und Strukturierung spielen hier eine wichtige Rolle – muss aktiv weiterentwickelt werden.

Im Tiroler Ausführungsgesetz ist durch die Einführung  eine Verbesserung des Kinderschutzes insgesamt explizit gefordert. In den erläuternden Bemerkungen § 17 T-KJHG (Dokumentation) ist zu lesen: "Ziel einer Dokumentation ist es, schriftlich oder in anderer technisch möglicher Weise, wie etwa durch Fotos oder in Form von Videoaufnahmen, die einzelnen Schritte und Entscheidungen nachvollziehbar festzuhalten. Neben fiskalischen Zwecken (nämlich zum Nachweis über die Verwendung von Steuermitteln) und der Erfassung von statistischen und wissenschaftlichen Daten, soll die Dokumentation vor allem der Sicherung und dem Nachweis der Fachkunde der erbrachten Leistungen dienen. Verläufe sollen dokumentiert werden und es soll eine Trennung zwischen der Faktenlage und den daraus gezogenen Schlüsse erfolgen. Es soll eine Struktur geschaffen werden, die die Selbstreflexion und Reflexion mit anderen Kollegen erleichtert und Handlungssicherheit bietet. Damit sollen aktuelle Forschungsergebnisse berücksichtigt werden, wonach ein verbesserter Kinderschutz vor allem durch eine Weiterentwicklung selbst-reflexiver Verfahren und nicht durch eine weitere technokratische Überformung des Hilfeprozesses erreicht werden soll."

Die geforderten Strukturen sollen also vor Allem der (Selbst-)Reflexion dienen – um dies leisten zu können dürfen sie nicht zu rigiden Standards verkommen. Diese Haltung steht auch hinter der iLK. Eine Methode, der sich die iLK zur Erreichung dieser Forderung bedient, ist eine kollegiale Beratung, die sich flexibel in das Vier-Augen-Prinzip fügt (siehe iLK Ablaufschema Kollegiale Bedürfnisanalyse).

Kollegiale Beratungsprozesse sind Teil verschiedener Konzepte, etwa im Konzept nach Maria Lüttringhaus (Lüttringhaus & Streich 2007, 2011a, 2011b) nehmen sie eine zentrale Rolle ein.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass viele kollegiale Beratungsprozesse nicht regelmäßig angewandt werden, da sie eine umfangreiche der Vorbereitung der Fallvorsteller*in und in der Umsetzung der Beratung einen hohen Zeitaufwand für die Kolleg*innen erfordern.

Die iLK setzt deshalb auf ein flexibles Modell der kollegialen Fallberatung, das einerseits im Team  aber auch in Kleinteams bzw. auch im Zusammenwirken von nur zwei Fachkräften eingesetzt werden kann und damit einfacher und auch weniger aufwändig einsetzbar ist. Es setzt nahtlos an der Bedürfnisanalyse an, die auch als Vorbereitungsunterlage für die/den Falleinbringer*in und als Arbeitsunterlage für die Berater*innen dient. Mithilfe der Systemdarstellung werden komplexe soziale Konstellationen greifbar gemacht und für eine gemeinsame Analyse aufgeschlossen. Die vorgeschlagene Struktur zielt darauf ab, dass sich die Teilnehmer*innen gegenseitig vor dem Einwirken von Verzerrungsmechanismen schützen indem sie ihre Gedankengänge immer wieder unabhängig weiterführen und im Anschluss vergleichen (hier spielt auch die FOKUS Skala eine wichtige Rolle) und an wichtige Grundregeln erinnern. Der Beratungsprozess der kollegialen Bedürfnisanalyse ermöglicht einerseits eine intersubjektive Validierung der Einschätzung – vier Augen sehen besser als zwei. Andererseits beeinflusst er auch den individuellen Einschätzungsprozess nachhaltig – durch die Ähnlichkeit der Struktur und der Materialien können die in der kollegialen Bedürfnisanalyse etablierten "gute Gewohnheiten" leicht in die Einzelarbeit übertragen werden.

Das "Ablaufschema Kollegiale Bedürfnisanalyse" umfasst eine kurze Anleitung für den Beratungsprozess, der mit Hilfe des Arbeitsblatts "Bedürfnisanalyse" durchgeführt wird. Neben den für kollegiale Beratungen relativ typischen Ablaufphasen stellen die reflektierte Zielformulierung für die kollegiale Bedürfnisanalyse und die damit einhergehende Haltung wichtige Elemente dar. Auf Seite 1 folgen knappe Anweisungen für die Rollen und Verhaltensregeln (Dos und Don'ts), sowie Vorschläge für Fragen, die sich zur Informationssammlung bewährt haben. Anders als andere Modelle bietet die Kollegiale Bedürfnisanalyse in der iLK auch eine ausführliche Strukturierung für die präsentierte Fallinformation – basierend auf der bereits vertrauten Bedürfnisanalyse. Diese lenkt auch hier den Fokus der zusammenwirkenden Fachkräfte.

Auf Seite 2 wird der Ablauf tabellarisch im Detail dargestellt. In der ersten Spalte werden die Phasen beschrieben. In der zweiten und dritten Spalte werden Haltung und Rolle der Fallvorsteller*in und der Berater*in(nen)/Moderator*in (je nach der Anzahl der Teilnehmer*innen) beschrieben, sowie in Folge die jeweiligen Aufgaben in den Phasen.

Die iLK ermutigt zwar zum regelmäßigen Einsatz strukturierter kollegialer Beratung im Team, setzt sie aber nicht als in jedem Fall notwendig voraus. Das iLK Ablaufschema zur Kollegialen Bedürfnisanalyse ist in erster Linie als Denkschule zu verstehen. Durch die Anwendung und Übung des strukturierten Ablaufs, sodass er den alltäglichen fachlichen Denkprozess formt, kann erreicht werden, dass Teamentscheidungen, Entscheidungen im Vier-Augen-Prinzip, aber auch Entscheidungen von einzelnen Fachkräften gegen Verzerrungsmechanismen sozusagen "geimpft" werden. Um diesen Effekt zu erreichen ist es notwendig, sich mit der Kollegialen Kurzberatung vertraut zu machen und auch danach regelmäßig anzuwenden – es ist aber nicht erforderlich sie in jedem Fall anzuwenden, was angesichts der oft knappen zeitlichen Ressourcen utopisch wäre.

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