Sozialarbeiter*innen an der BVB

Sozialarbeiter*in an der BVB

In der Rolle als Fachkraft stehen Sozialarbeiter*innen vor der fordernden Aufgabe Entscheidungen in sehr komplexen Situationen zu treffen und zu vermitteln. Ob man damit der Lebenssituation der Betroffenen gerecht wird, ob man dies souverän und mit einer Sicherheit tun kann, die zur Beteiligung einlädt, hängt davon ab, wie gut man die Situation begriffen hat. Wie alle Menschen unterliegen auch Expert*innen bestimmten Verzerrungsmechanismen, die auf unsere Wahrnehmung wirken – besonders unter Druck.

Die iLK bietet eine Leitlinie, sie ist wie ein Seil, an dem man sich orientieren und manchmal festhalten kann, um sicher durch diese herausfordernden Prozesse schreiten zu können – und andere dabei zu führen. Die Bedürfnisanalyse strukturiert den Verstehensprozess, in dem wir uns ein Bild von der Situation machen in einer Weise, die Verzerrungsmechanismen verringert und von vorne herein auf eine partizipative Klärung und Bewältigung ausgerichtet ist.

Die iLK ist keine Seilbahn. Die Schritte muss man selber gehen und die Entscheidungen müssen auch unter Einsatz der eigenen Erfahrung und des Fachwissens selbst getroffen werden. Aber sie schult das Denken von Fachkräften, die ihre Expertenrolle als etwas sehen, das sie nicht bei Amtsantritt verliehen bekommen haben, sondern als etwas, das sie sich erarbeiten und stetig weiterentwickeln.

Es gibt auch Konzepte, die die Risikoeinschätzung derart in den Vordergrund stellen, dass andere Schritte aus dem Blick fürs Ganze verdrängt werden. So entsteht eine Aufmerksamkeitsfokussierung - wer suchet der findet (confirmation bias) - der defensives Entscheiden begünstigt (verfolgen von für die Minderjährigen suboptimalen Optionen, die aber das Risiko der eigenen Verantwortung der Fachkraft im Fall, dass etwas schiefgeht, minimiert). Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass Sprache nicht nur Wirklichkeit beschreibt, sondern auch unsere Wahrnehmung davon formt und damit soziale Wirklichkeit erschafft (Performanz von Sprache).

Aus diesem Grund wird in der iLK nicht direkt nach Risiko oder Gefährdung gefragt, sondern an erster Stelle ein positiver Fokus auf ‘kindliche Grundbedürfnisse’ gelenkt. Aus der Erfüllung bzw. der grob fehlenden Erfüllung dieser Bedürfnisse können sich Kindeswohlgefährdungen ergeben. Angelpunkt ist also ein einender Fokus - das Wohlergehen des Kindes (was auch genau der zentrale Begriff jeder gesetzlichen Legitimation ist - Kindeswohl). Erfahrene Fachkräfte werden bestätigen, dass alle Eltern (bis auf ganz wenige Ausnahmen) wollen, dass es ihren Kindern gut geht. Das wollen auch die beteiligten Helfer. Über kindliche Grundbedürfnisse zu sprechen stellt ihnen für ihre gemeinsame Aufgabe eine Sprache zur Verfügung und ein Gerüst, anhand dessen sie das Kindeswohl aufschlüsseln und gemeinsam besprechen können. Das ist unbedingt notwendig. Noch immer bestehen in der Praxis sehr weit abweichende Vorstellungen davon, was das Kindeswohl ist und was dabei wie wiegt - nicht nur bei Eltern sondern ebenso bei Fachpersonen (Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Gutachter*innen, etc.).

Sehr oft wird im Falle einer fachlich wahrgenommenen Kindeswohlgefährdung eine Argumentation gegen die Eltern aufgebaut. Konstrukte wie 'Erziehungsfähigkeit', psychiatrische Diagnosen, etc. verleiten dazu, Fehlverhalten oder grundlegende Probleme bei den Eltern in den Vordergrund zu rücken. Diese werden von den betroffenen Eltern dann fast unweigerlich als Vorwürfe oder als unverrückbare Verurteilung verstanden. Das ist nicht nur einer Kooperation abträglich, sondern trifft auch den gesetzlichen Auftrag – das Kindeswohl zu sichern – nicht.

Es braucht hier also ein solides Gerüst, das einer Erörterung der Sichtweisen des Kindeswohles unter Härtebedingungen standhält. Dies bedeutet, dass die derart erörterte Entscheidungsgrundlage auch einer Überprüfung durch das Gericht, das im Zweifelsfall immer das letzte Wort hat, standhalten muss.

“Was dem Wohl des Kindes entspricht oder widerspricht, ob und inwieweit das Wohl des Kindes gefährdet ist, ob eine Maßnahme oder Verfügung dem Wohl des Kindes besser als eine andere dient, alle diese und auch andere, das Kindeswohl betreffende Fragen sind daher letztlich von den Gerichten zu beurteilen”, wie auf Seite 16, Vorblatt und Erläuterungen zum KindNamRÄG 2013 zu lesen ist. “Bei dieser Prüfung [des Kindeswohles] spielen aber kinderpsychologische und pädagogische Gesichtspunkte eine besondere Rolle [...].”

Ein solides Gerüst, eine Leitlinie für die Entscheidungsfindung in solchen Fällen, sollte also eine Struktur bieten, für das Gericht entscheidungsrelevante fachliche Einschätzungen der Fachkräfte in einer für alle Beteiligten nachvollziehbaren Sprache aufzubereiten.

 

Die Leitlinie Kindeswohl unterstützt die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen (ebenso Sozialpädagog*innen, Therapeut*innen, Jurist*innen,…) auch innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe, indem sie auch hier den gemeinsamen Fokus auf die kindlichen Bedürfnisse legt, etwa in der Zusammenarbeit zwischen den Sozialarbeiter*innen und dem Psychologischen Fachdienst der Kinder- und Jugendhilfe. Die Kompetenzen und Sichtweisen von Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen, die jeweils Spezialwissen und Methodik zur Einschätzung bestimmter Bedürfnisse mitbringen, können sich hierbei ergänzen.

Abklärungen durch psychologische Sachverständige sollen nicht die Einschätzung von Sozialarbeiter*innen ersetzen, sondern in eine gemeinsame und partizipative Vorgehensplanung einfließen.

Hinweis: Fragen zur Erziehungsfähigkeit scheinen in der iLK nicht auf. Wenngleich dieses Konstrukt noch immer weit verbreitet ist, ist es wissenschaftlich ungeeignet und ist auch aus rechtlicher Sicht nicht ausreichend, um Eingriffe in die Familienautonomie zu legitimieren. Der inhärente Fokus auf scheinbar einer Person innewohnenden (scheinbar stabilen) Fähigkeiten ist mit einer systemischen Sichtweise nur schwer vereinbar. Ein kooperativer Kinderschutz muss deeskalieren. Jemandem die Erziehungsfähigkeit abzusprechen wirkt meist eskalierend und steht somit einer auf Partizipation ausgerichteten Haltung entgegen.